„Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht“ als Beweisregel im Strafprozess?

Der BGH musste klären, ob frühere Lügen eines Angeklagten seine späteren Aussagen automatisch entwerten. Die Antwort fällt deutlich aus: Starre Beweisregeln gibt es nicht. Der Beitrag zeigt, warum das wichtig ist und wie Gerichte Aussagen tatsächlich prüfen.

BGH, Urteil vom 25.08.2022 – 3 StR 359/21

Im Prozess um den Mordfall Walter Lübcke legten alle betroffenen Parteien Revision ein: die Angeklagten, die Hinterbliebenen des Opfers und die Generalbundesanwaltschaft. Besondere Aufmerksamkeit verdient die Revisionsbegründung der Letzteren. Diese wendet sich gegen den Freispruch des Mitangeklagten Markus H. von der Beihilfe zum Mord. Begründet wird sie unter anderem mit einer ungewöhnlichen Formulierung des OLG Frankfurt bezüglich einer Beweiswürdigung.

Im Strafprozess gilt der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung, so schreibt es § 261 StPO vor. Die Richter sind ausschließlich ihrem Gewissen verpflichtet, gesetzliche Beweisregeln können der Komplexität eines Strafverfahrens niemals gerecht werden. Eine Formulierung in der Urteilsbegründung des OLG Frankfurt ließ den Bundesanwalt daher stutzig werden. So habe der Senat eine Aussage des Stephan E., die den Mitangeklagten Markus H. belastet, „nur insoweit zu seiner Überzeugungsbildung heranziehen können, als diese durch andere Beweismittel bestätigt worden sind“.

Insbesondere das Wort „können“ mutet hier eigentümlich an. Möchte das OLG Frankfurt damit andeuten, dass einem zuvor etliche Male der Lüge überführten Angeklagten nur geglaubt werden könne, wenn es für seine Aussage weitere Indizien gebe? Dies käme einer nicht in der StPO verankerten Beweisregel gleich, frei nach dem Sprichwort „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht“.

Auch der BGH verneint die Existenz einer solchen Beweisregel. Ein Vorwurf sei dem OLG dennoch nicht zu machen. So ergebe sich aus der übrigen Urteilsbegründung trotz der missglückten Formulierung, dass der Senat jede einzelne Aussage des Stephan E. auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft habe.

Damit bleibt es dabei, dass „wer einmal lügt…“ nur im alltäglichen Leben Relevanz haben kann, Spruchkammern sich davon aber frei machen müssen.

Nicht nur im Lübcke-Fall, immer wieder ist die Bewertung von dem Aussageverhalten eines Angeklagten Gegenstand von Revisionen. Zuletzt zog das Landgericht Waldshut-Tiengen aus dem Zeitpunkt der Einlassung des Angeklagten Rückschlüsse auf die Richtigkeit derselben. Dieses Vorgehen verurteilte der BGH als rechtsfehlerhaft (BGH, Beschluss vom 01.06.2022 – 1 StR 139/22). Es konterkariere das Recht zum unbefangenen Gebrauch des Schweigerechts nach § 136 Abs. 1 S. 2 und § 243 Abs. 5 S. 1 StPO. Auch in diesem Zusammenhang mahnte der BGH an, aus vorangegangenen Lügen nicht die Unwahrheit einer weiteren Aussage zu schließen.

Autor
Felix Haug
  • Fachanwalt für Strafrecht
  • Spezialisiert auf Wirtschaftsstrafrecht und Unternehmsverteidigung
  • Kanzlei am Kurfürstendamm in Berlin

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