Vermögensschaden bei der Erpressung: Neue Maßstäbe des BVerfG stärken die Verteidigung

Das BVerfG stellt klar: Ohne konkrete Feststellungen zum Vermögensschaden darf keine Verurteilung wegen Erpressung erfolgen. Die Entscheidung hebt die Anforderungen deutlich an – mit großen Vorteilen für die Verteidigung in Betrugs- und Untreueverfahren. Wer den wirtschaftlichen Nachteil nicht belegt, darf nicht verurteilen.

Warum die Entscheidung 2 BvR 1974/22 auch für Betrugs- und Untreuemandate strategisch relevant ist

Wer wegen Erpressung, Betrug oder Untreue ins Visier der Ermittlungsbehörden gerät, steht regelmäßig vor einer zentralen Frage: Hat das angebliche Opfer tatsächlich einen wirtschaftlichen Nachteil erlitten – und wurde dieser rechtlich korrekt bestimmt? Das Bundesverfassungsgericht hat nun in einer wegweisenden Entscheidung zu § 253 StGB (Erpressung) deutlich gemacht, dass die Anforderungen an den Vermögensschaden auch dort nicht unterschritten werden dürfen. Für Verteidiger:innen in Wirtschaftsstrafsachen ist das ein starkes verfassungsrechtliches Argumentationswerkzeug – gerade auch in Fällen des versuchten Betrugs oder der Untreue.

Der Fall: Erpressung im Studiokontext – und eine verfassungsrechtliche Klärung

Im Mittelpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. April 2025 (2 BvR 1974/22) steht ein Fall versuchter schwerer räuberischer Erpressung: Beteiligte wollten einem Mitbetreiber eines Studios dessen Anteile abpressen – unter Gewaltanwendung. Verurteilt wurde unter anderem der Beschwerdeführer. Doch ein konkreter wirtschaftlicher Nachteil des Opfers wurde im Urteil nicht dargelegt oder beziffert.

Das Bundesverfassungsgericht hob daraufhin den Revisionsbeschluss des Bundesgerichtshofs auf und stellte klar: Das Urteil verletzt den Bestimmtheitsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 2 GG, weil zentrale Feststellungen zum Vermögensschaden fehlten.

Verfassungsrechtlicher Maßstab: Kein Tatbestand ohne wirtschaftlichen Realitätsbezug

Das Gericht knüpft an seine gefestigte Rechtsprechung zum Schadensmerkmal bei Untreue (§ 266 StGB) und Betrug (§ 263 StGB) an – etwa aus der „Al-Qaida“-Entscheidung (BVerfGE 130, 1). Diese Maßstäbe gelten nun ausdrücklich auch für die Erpressung (§§ 253, 255 StGB):

„Der Vermögensnachteil […] darf nicht vollständig in dem abgenötigten Verhalten aufgehen. […] Von einfach gelagerten Fällen abgesehen, sind eigenständige Feststellungen zur wirtschaftlichen Nachteilswirkung erforderlich – einschließlich Bezifferung oder zumindest tragfähiger Schätzung eines Mindestschadens.“ (Rn. 27–30)

Das bedeutet für die Praxis: Strafgerichte dürfen die Frage des Schadens nicht überspringen. Auch bei Gewalt- oder Drohkulissen muss deutlich werden, worin konkret der wirtschaftliche Nachteil liegt – und wie sich dieser rechnerisch oder zumindest wertmäßig auswirkt.

Relevanz für die Verteidigung bei Betrug und Untreue

Obwohl es formal um eine Erpressung ging, ist das Urteil für Betrugs- und Untreuemandate mindestens ebenso bedeutsam:

  1. Klarstellung: Der Vermögensschaden ist kein formales Tatbestandsmerkmal, sondern materieller Kern wirtschaftlicher Strafbarkeit.
  2. Übertragbarkeit: Die verfassungsrechtlichen Anforderungen gelten unabhängig vom Deliktstyp, sobald das Strafgesetz einen „Vermögensnachteil“ voraussetzt.
  3. Strategische Verteidigung: In Verfahren wegen versuchten Betrugs oder unklarer Untreuetatbestände kann das Fehlen nachvollziehbarer Schadensfeststellungen zur Verteidigungslinie werden – bis hin zur Einstellung oder zum Freispruch.

Diese verfassungsrechtlichen Maßstäbe gelten auch für den Vermögensschaden bei Betrug und Untreue.

Typische Verteidigungsansätze bei unklarem Vermögensschaden

  • Keine Bezifferung: Wie im entschiedenen Fall fehlt häufig eine konkrete Schadenshöhe.
  • Spekulative Gewinne: Bloße Umsatz- oder Gewinnchancen stellen keinen Vermögenswert dar (vgl. BGH 2 StR 375/11).
  • Normative Überhöhung: Wenn Gerichte allein auf zivilrechtliche Bewertungen abstellen, ohne wirtschaftliche Substanz aufzuzeigen.
  • Subjektives Tatbild ignoriert: Besonders beim Versuch muss das Tätervorstellungsbild berücksichtigt werden – auch hierzu fehlten im entschiedenen Fall Feststellungen.

Fazit: Die verfassungsrechtliche Latte liegt höher – und das ist gut so

Mit dem Beschluss 2 BvR 1974/22 setzt das Bundesverfassungsgericht ein wichtiges Zeichen: Strafrechtliche Sanktionen wegen Vermögensdelikten brauchen ein belastbares wirtschaftliches Fundament. Das schützt nicht nur vor vorschneller Strafbarkeit, sondern zwingt Ermittlungsbehörden und Gerichte zu präziser Arbeit – und eröffnet der Verteidigung substanzielle Angriffspunkte.

Für alle, die in Wirtschaftsstrafverfahren wegen Betrugs, Untreue oder Erpressung tätig sind, lohnt es sich, diesen Beschluss genau zu kennen. Denn wer den Vermögensschaden nicht belegen kann, darf nicht verurteilen.

Autor
Felix Haug
  • Fachanwalt für Strafrecht
  • Spezialisiert auf Wirtschaftsstrafrecht und Unternehmsverteidigung
  • Kanzlei am Kurfürstendamm in Berlin

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